So definiert das "Lexikon der Filmbegriffe" der Uni Kiel http://filmlexikon.uni-kiel.de den Antihelden:
"Der Begriff wird am deutlichsten, wenn man ihn von dem des Helden absetzt. Ein Held ist ein positiv besetzter Protagonist mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten und Tugenden, der im Zentrum der Aufmerksamkeit der Zuschauer steht. Antihelden sind Underdog-Figuren, durch die die Geschichte perspektiviert wird und die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, denen aber die Situationsmächtigkeit, die überdurchschnittlichen moralischen Qualitäten und Fähigkeiten des Helden fehlen und denen manchmal sogar das Merkmal der Aktivität genommen wird."
Manche bezeichnen Walter White aus Breaking Bad als den Archetypen eines Antihelden.
Kürzlich las ich den Roman Das Leben des Vernon Subutex von Virginie Despentes. Vernon ist aus meiner Sicht ein beeindruckender Antiheld. Immer tiefer fällt er. Und der Roman ist so gut geschrieben, dass ich mitfühle, mitleide, vom ersten bis zum letzten Satz: "... ich bin ein Penner auf einer Bank hoch oben auf einem Hügel, in Paris." Großartig und ich bin gespannt auf den zweiten und dritten Band dieser Trilogie.
Warum mich das alles interessiert? Die Hauptfigur meines neuen Buches ist ein Antiheld. Er ist gewalttätig, aggressiv, bösartig, hasst Ausländer, verachtet Politiker, wird zunehmend radikal. Ich mag ihn dennoch, nicht wegen, sondern trotz aller Verfehlungen. Er leidet. Er ist blind vor Enttäuschung und Frust, wird dadurch leicht verführbar und rennt sehenden Auges ins eigene Verderben. Ob er da wieder heraus kommt? - Nun, das werde ich hier natürlich nicht verraten. :-)
Klassische Helden sind mir häufig zu glatt und zu realitätsfern. Die meisten Menschen haben etwas vom Antihelden an sich. Wer besitzt schon die überdurchschnittlichen Qualitäten und Fähigkeiten eines Helden? Die Brüche und die Fallhöhe eines Antihelden sind mir da wesentlich näher.
Und mit dieser Erkenntnis setze ich mich dann wieder an den Schreibtisch und arbeite an meinen Werken.
Welches sind Eure Antihelden in der modernen Literatur?
Lieber Michael, die zitierte Definition eines Antihelden lässt ja enormen Spielraum. Wo in der zeitgenössischen Literatur gibt es noch die strahlenden Helden?
Die Subutex-Trilogie habe ich auch verschlungen, war hin und her gerissen, die Vision am Ende war schon ziemlich seltsam.
Ein paar meiner zeitgenössischen Antihelden:
Wolfgang Herrndorf: Tschick. Tolle Geschichte, schräge Typen. Großartiger Schriftsteller, leider viel zu früh gestorben.
Lutz Seiler: Kruso. Spielt auf Hiddensee zu DDR-Zeiten. Kruso und seine Gäste sind vom System Ausgestoßene. Auch die Verfilmung war gut.
Dörte Hansen: Mittagsstunde. Ein aus der Zeit Gefallener kümmert sich um seine Großeltern. Grandioser Roman.
Robert Seethaler: Ein einfaches Leben. Kurzes Buch, knappe Sprache. Zum Heulen schön.
John Williams: Stoner. Über eine Mega-Lusche, der nichts im Leben auf die…